“Wenn Struwwelpeter Harry Potter trifft”
Erfolgreiches Sozialprojekt bringt Jung und Alt in den Austausch
Von Susanne Fricke
Göttingen – Früher lebte die Großfamilie unter einem Dach, Kinder konnten unmittelbar am reichen Erfahrungsschatz von Oma und Opa teilnehmen. Gespannt lauschten sie den Geschichten der Älteren, die ihnen vergangene Jahrzehnte nahe brachten. Sie hörten, dass es sich damals oft ganz anders lebte als heute, vieles schwieriger, aber auch manches leichter war als heute. Die Senioren konnte wiederum das Aufwachsen der Kinder direkt miterleben.
Bedingt durch den demographischen Wandel ist es heute eher selten, dass mehrere Generationen zusammenleben. Umso wichtiger ist ein Dialog zwischen den Generationen: Ein einem beispielhaften Sozialprojekt “Struwwelpeter trifft Harry Potter” kooperieren die katholische Godehardschule und das Caritas Seniorenstift St. Paulus in Göttingen: Die Idee dahinter ist, Jung und Alt wieder in den Austausch zu bringen und die soziale Empathie der Kinder zu fördern.
In der Einrichtung ist das Miteinander von Kindern und Bewohnern schon länger fester Bestandteil. Kinder aus dem benachbarten Kindergarten kommen regelmäßig, führen etwas vor, es wird gemeinsam gesungen, gebastelt und gebacken. Seit einigen Jahren kommt auch eine Gruppe von Grundschülern in das Heim, um sich nachmittags mit Bewohnern zu treffen. Am Anfang waren die Schüler eher neugierig, was sie dort erwartete. Dann wurde aus der Neugier die Vorfreude auf die 14-tägigen Treffen, die oft unter dem Motto “Früher und heute” standen: Welche Süßigkeiten gab es gestern und heute, wie sahen die Schulranzen aus und womit wurde geschrieben? Für manchen Schüler kaum vorstellbar, wie mühsam das Schreiben auf den Schiefertafeln war: “Manchmal taten mir die Finger weh vom Schreiben mit den Griffeln”, erzählte eine Seniorin den gespannt lauschenden Kindern.
Nach und nach haben sich engere Kontakte ergeben, Vertrauen ist gewachsen.
Die Kinder öffnen sich und erzählen von ihren kleinen und großen Alltagssorgen. Die Bewohner sind nach den Begegnungen sichtbar heiterer und das Erleben, sich einbringen zu können, steigert das Selbstwertgefühl.
Für Furore sorgte im vergangenen Jahr ein Projekt der Informatik-AG, das es sogar auf die Ideen-Expo nach Hannover schaffte: Die Schüler führten die Müllroboter ihren Senioren vor, eine Erfindung, die ihren Heimalltag erleichtern sollte. Vor kurzem stattete eine Seniorengruppe der Godehardschule einen Besuch ab: Anlass war die Vorführung modernster Technik, eines Smartboards, auch digitale Tafel genannt. Die Bewohner staunten nicht schlecht, was die Technik heute möglich macht: “Das wirkte fast wie Hexerei, und das, obwohl ich als Programmierer gearbeitet habe”, staunte ein 80-jähriger Bewohner. Er wagte sich dann auch an die Tafel, um die tollen Möglichkeiten bei einem Quiz auszuprobieren. Von der Technik beeindruckt zeigte sich auch eine 87-jährige Bewohnerin, die früher selbst einen Computer hatte. Schade findet sie allerdings, dass das “Schönschreiben jetzt zu kurz kommt: An dieser digitalen Tafel ist es doch sehr steril”, sie habe selber früher das Schönschreiben mit einer Feder und Tintenfass geübt: “Oft haben wir unsere Finger bekleckert mit der Tinte, aber das gehörte dazu.”
Anschließend ging es noch auf Stippvisite in einzelne Klassen. Gemeinsam mit den Senioren nahmen die Schüler an spannenden Mathe- oder Geschichtsstunden teil. Ganz toll kam das Referat einer Schülerin über die “Entwicklung der Gesellschaft vom Mittelalter bis heute” an. “Ihr hätte ich eine Eins gegeben”, bemerkte ein Bewohner.
Der Nachmittag an der Schule wird allen Teilnehmern sicher lange in Erinnerung bleiben: “Es ist wichtig, dass Jung und Alt zusammen kommen, sonst lebt man sich auseinander. Die Begegnung ist auch dazu da, dass der Respekt vor dem Alter und den Erfahrungen bleibt”, meinte die 87-Jährige.