Das Schicksal von Millionen begleitet
Glocken der Heimkehrerkirche St. Norbert in Friedland saniert
Sie haben nicht nur die Gläubigen zu Gottesdiensten und Andachten gerufen, sondern auch Millionen Heimkehrer seit 1945 begrüßt: die Glocken der Kirche St. Norbert von Friedland. Jetzt hat ein Kranwagen die älteste der drei bronzenen Glocken wieder auf den Turm der so genannten „Heimkehrerkirche“ gehoben, nachdem sie zuvor in einer Glockengießerei in Nördlingen saniert worden war.
Friedland (kpg) - Ein halbes Jahrtausend hat sie bereits auf dem bronzenen Buckel, die kleine Glocke aus dem 15. Jahrhundert, die aus einer Kirche in Welkersdorf in Schlesien stammt. Ein Jahr nach der Einweihung der Kirche St. Norbert 1955 fand sie mit zwei weiteren Glocken – der so genannten großen Glocke, gegossen 1704 in Ostpreussen und einem eigens für die neue Kirche gegossenen Exemplar – ihren Platz im neu erbauten Glockenturm, der anders als bei den meisten Kirchen zu ebener Erde steht. Hier hat sie viele Schicksale gesehen: Im Oktober 1955 erreichte der erste Großtransport mit 600 Männern aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft Friedland. Weil sich hier in Südniedersachsen die britische, amerikanische und sowjetische Besatzungszone trafen und die Dörfer in dieser Gegend mit Flüchtlingen und entlassenen Kriegsgefangenen überlaufen waren, hatte die britische Besatzungsregierung in Friedland nach dem Zweiten Weltkrieg ein Auffanglager errichtet. In den kommenden Jahren wurde der kleine Ort bei Göttingen zunehmend zu einem Fluchtpunkt für Flüchtlinge aus Ungarn, Chile oder Vietnam, zum Grenzdurchgangslager für Aussiedler, zuletzt für Kriegsflüchtlinge aus dem Irak – die drei Glocken haben alle diese Menschen begrüßt.
Jetzt waren an allen drei Glocken Sanierungsarbeiten fällig geworden. Nur die älteste ging aber dafür auf Reisen, die beiden anderen standen abgehängt im oberen offenen Turm der Kirche. Für alle drei Glocken wurde eine neue Joche gebaut, an der diese aufgehängt wird, und auch die Klöppel erneuert. Rund 36 000 Euro kostet die Sanierung. 10 000 Euro hat das Bonifatiuswerk dazugegeben, die Sparkasse Göttingen und der Gesamtverband der katholischen Kirchengemeinden Göttingens jeweils 5000 Euro. 3500 Euro hat die Gemeinde Maria Frieden, zu der St. Norbert mittlerweile gehört, bereits durch Spenden aufgebracht.
Umfangreicher Kirchenführer geplant
Die Geschichte der Glocken wird auch Teil eines neuen Kirchenführers sein, den Kunsthistorikerin Dr. Maria Kapp schreibt. Die freie Mitarbeiterin der kirchlichen Denkmalpflege und der Direktor des Bistumsarchivs, Dr. Thomas Scharf-Wrede, haben sich durch das Archiv von St. Norbert und des Caritasverbands gegraben, der bereits kurz nach Kriegsende seine Arbeit für die zahlreichen Flüchtlinge aufgenommen hat und sich bis heute im Grenzdurchgangslager engagiert. Kapp hat zusätzlich ein Kunstinventar von St. Norbert erstellt. „Das Inventar kann man sich in keiner anderen Kirche vorstellen, so typisch hängt es mit der Geschichte zusammen“, sagt die Kunsthistorikerin. So spendete der damalige Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer das Ewige Licht, zeitgenössische Künstler wirkten bei der Gestaltung mit: Zu den Kunstschätzen der Kirche gehört ein Kreuzweg von Christa Adrian, das mehrteilige Relief „Gefangenenlager“ des Pforzheimer Bildhauers Fritz Theilmann oder Kirchenfenster des expressionistischen Kirchenmalers Ludwig Baur aus Telgte. So steht St. Norbert heute unter Denkmalschutz. „Alle Künstler hatten einen persönlichen Bezug zum Thema Vertreibung und haben das christliche Geschehen in die Situation vor Ort übersetzt“, so Scharf-Wrede.
Ein weiteres Highlight für Scharf-Wrede: Er und Dr. Kapp haben im Archiv den kompletten Planungssatz des Architekten Friedrich Wagener gefunden, 170 ungeordnete Zeichnungen. Studierende der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst HAWK in Hildesheim wollen sich nun damit beschäftigen, wie sich diese Pläne restaurieren und konservieren lassen.
Im Archiv fanden die beiden Wissenschaftler zudem zahlreiche Korrespondenzen wie Transportprotokolle oder Briefe, die detailliert schildern, wie es den Neuankömmlingen im Lager ging und „die zeigen, wie die Kirche sich den Menschen zugewendet hat“. Diese Dokumente, davon ist Scharf-Wrede überzeugt, wären auch eine „tolle Vorlage“ für ein geplantes Dokumentationszentrum in Friedland. „Und sie zeigen die absolute Sonderstellung, die Friedland im Bistum Hildesheim hat.“
Wer für die Sanierung der Glocken spenden möchte, kann das unter dem Verwendungszweck „Glocken St. Norbert“ bei der Sparkasse Göttingen, BLZ 260 500 01, Konto 27 200 393.