Den Finanzkapitalismus neu starten
Vortrag von Prof. Hengsbach SJ in St. Michael
Am Sonntag, 17.5.09 referierte der bekannte Wirtschaftsexperte und Sozialethiker Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach über das Thema „In der Finanzkrise – ein Neustart des demokratischen Kapitalismus“. Auf Einladung der Pax-Christi-Bewegung im Bistum Hildesheim sprach er bei einem Politischen Frühschoppen in St. Michael in Göttingen vor über 100 interessierten und gesprächsfreudigen Zuhörern.
Krise nicht nur wirtschaftlich
Krisen seien im Kapitalismus sehr normal – das Besondere an der aktuellen Krise sei, dass sie nicht nur eine globale Geldknappheit aller Finanzinstitute aufweise, sondern auch der ökologische Umbau der Wirtschaft gefährdet sei – zur Abwehr unternähmen, wie schon W. Sombart sagte, Staat und Wirtschaft wieder mal den „Griff in die Sparbüchse der Erde“, indem sie knappe Vorräte verschleuderten. Drittens seien die Folgen für die Schwachen härter, d.h. dass die Schere zwischen Arm und Reich sich noch weiter öffnen werde.
Staat als Geisel, die kooperiert
Der Staat sei hierbei nicht nur der Retter, als der ihn die Politiker derzeit gerne darstellten – sondern der Staat sei Bestandteil des Problems, ja sogar eine „kooperative Geisel“ des Finanzkapitalismus. Äußerst kenntnisreich in Details und historisch hintergründig stellte Hengsbach die Entwicklung von der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland („Rheinischer Kapitalismus“) zum modernen Finanzkapitalismus angelsächsischer Prägung („Kooperativer Kapitalismus“) heraus. Dabei wurde deutlich, wie sich die Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft abgekoppelt habe, indem Unternehmen nicht als Produzenten von wichtigen Waren gesehen wurden, sondern als Kapitalanlage der Anteilseigner, die immer mehr Gewinne abwerfen sollen, damit der Börsenwert steigt. Durch jahrzehntelanges Beeinflussen der Öffentlichkeit und Politik sei diese in den Sog des Finanzkapitalismus geraten.
Fehler im System sehen
Was zu tun sei, arbeitete Hengsbach in 3 Schritten ab: Erstens sei Fehlersuche zu betreiben – und zwar nicht nur individuelle, sondern auch die Fehler im System seien zu sehen: Geld gelte nicht mehr als Tauschmittel, sondern als Wertspeicher; Vermögenswerte entsprächen nicht mehr den Güterwerten; die Verteilung sei in eine Schieflage geraten und vor allem seien viel zu hohe Erwartungen an die Geldschöpfung geweckt worden – daher sprächen Kritiker davon, an der Börse würden „nicht mehr Werte, sondern Gerüchte“ gehandelt.
Aufsicht über alle Finanzgeschäfte
Nach der Fehlersuche gehe es um eine neue Finanzarchitektur, wie sie auf dem Gipfel in London erklärt wurde, d.h. dass alle Finanzgeschäfte an allen Orten und von allen Unternehmen kontrolliert werden. Einzelne Instrumente dazu stellte er vor und legte besonderes Gewicht darauf, dass die USA und die G8 jetzt nicht mehr alles allein entscheiden könnten, sondern auch andere Staaten beteiligen müssten (z.B. China, Indien, Brasilien, Russland) und dass damit die Peripherie des globalen Kapitalismus mehr Einfluss auf die Zentren nehme, v.a. die sog. Schwellenländer.
Realwirtschaft beleben – Faktor Arbeit stärken
Der dritte Schritt sei dann die Perspektive, die Realwirtschaft wieder zu beleben, er forderte neben dem Abbau globaler Ungleichgewichte und einer Ablösung des Dollars als Leitwährung vor allem eine „Offensive für Wertschöpfung und Arbeit“ in Deutschland. Damit meinte er den „ehrgeizigen ökologischen Umbau“ sowie weniger Orientierung an Produkten, sondern mehr „Arbeit an den Menschen“, die besser als bisher bezahlt werden müsse. Unverzichtbar dabei sei, die Vermarktung der Arbeitskraft durch Arbeitsrecht, Tarifverträge und solidarische Sicherungen zurück zu drängen. Denn nur damit komme man weg von einem Vorrecht des Kapitals vor der Arbeit.
Gesprächsergebnis: Demokratische Kontrolle ist möglich
Die anschließende spannende Diskussion erbrachte, dass solidarischen Verbrauchern und solidarischen Arbeitnehmern eine „demokratische Aneignung des Kapitalismus“ gelingen kann, wenn sie die politischen Werkzeuge nutzen sowie dabei global denken und lokal handeln – so wie es in der Idee der „Global Governance“ und einer weltweiten Zivilgesellschaft aufscheine.
Den Vortrag im Wortlaut finden Sie hier.