Die Sehnsucht muss reichen
Diakon Martin Wirth erklärt, was die Fastenzeit mit Sehen und Nicht-Sehen zu tun hat. Er weiß, wovon er spricht: Er ist seit dem 14. Lebensjahr blind
„Schauen Sie sich
um“, sagt Diakon Martin Wirth. „Hier liegt nichts Überflüssiges rum.“ Ballast
loslassen, auf kleine Bequemlichkeiten verzichten – darum bemühen sich viele
Christen in den sieben Wochen vor Ostern. Martin Wirth ist ein Experte darin.
Der Diakon der Gemeinde St. Godehard im Göttinger Westen ist seit seinem 14.
Lebensjahr blind. „An der Blindenschule
habe ich gelernt, aus dem wenigen Arbeitsmaterial, das es für Blinde gibt, das
Meiste herauszuholen“, erzählt er. „Dabei war ich immer angewiesen auf gute
Tipps von anderen.“
Heute ist er es,
dessen Rat Menschen suchen. „Ein Diakon ist jemand, der an den Rand guckt“,
definiert er seinen Job. Er sorgt dafür, dass Göttinger mit
Migrationshintergrund oder solche, die von Hartz IV leben müssen, sagen können:
„Das ist auch meine Kirche.“ Dazu bringt er die Stimme der Gemeinde in der
Weststadt-Konferenz oder im Nachbarschaftszentrum ein. Dass er Menschen nicht nach ihrem Äußeren
beurteilen kann, ist manchmal sogar ein Vorteil bei seiner Arbeit, meint er:
„Mir ist egal, ob sich jemand die Haare gewaschen hat. Wegen solcher Dinge
stecke ich Menschen nicht in eine Schublade.“
In der Fastenzeit
will er dazu Mut machen, genau vorurteilsfrei auf das eigene Leben zu
blicken. Unter der Überschrift „Zwei
Balken aus Holz - Sie sagen: Er starb, sie sagen: Er lebt“ lädt er ab 6. März
an jedem Donnerstag um 19 Uhr zu einer Kreuzwegandacht nach St. Godehard
(Godehardstr. 22) ein. Wer tiefer einsteigen will, bleibt danach noch länger:
Ab 20 Uhr treffen sich Interessierte unter dem Motto „Jesus Christus zu folgen hat Folgen“. Die
Teilnehmenden machen sich an sechs Abenden auf einen Übungsweg, auf dem sie
trainieren, die Botschaft der Bibel auf ihren Alltag zu übertragen. „Einige
werden sagen: Danach bin ich gut aufgeladen für meinen Alltag. Andere“, hofft
Martin Wirth, „werden mehr wollen.“ Die Frage, wie Menschen heute erleben
können, dass sie zur Kirche gehören, treibt ihn um. Lebenslange Bindungen an
einen Verband, an eine Gemeinde werden immer seltener. Der Vater von drei
Kindern weiß, wovon er spricht: Nach acht Jahren als Diakon in Stade hat er mit
der ganzen Familie 2013 einen Neuanfang in Göttingen gewagt.
Beruf und
Familie, findet der 41-Jährige, verlangen schon genug von jedem – da muss es
die Kirche den Menschen leicht machen: „Die Sehnsucht muss reichen, um bei uns eine
Heimat zu finden.“ Keine Vorkenntnisse,
keine Logos, keine Mitgliedsausweise – stattdessen einfach kleine Gruppen von
Christen, die sich treffen, um zu beten, Bibel zu teilen, über Gott und die
Welt zu reden und „segensreich“ zu handeln. So stellt er sich die Gemeinde der
Zukunft vor. Wer neugierig darauf ist,
findet im Lauf des Jahres noch viele weitere Angebote von Martin Wirth unter so
provokanten Titeln wie „Beten, was das Zeug hält“ oder „Was dürfen wir glauben?“
Martin Wirth hat
selbst auf Umwegen zu seinem Job in der Kirche gefunden. Er hatte bereits als
Diplom-Biologe gearbeitet, als ihm klar wurde, dass es da noch mehr im Leben
geben muss. Lachend berichtet er, was die größte Sorge seiner Mutter war:
„Junge, fall nicht ins Grab.“ Bei Beerdigungen ist sein Assistent Michael
Recke, der ihm bei der Arbeit zur Seite steht, tatsächlich unentbehrlich: „Damit mit dem Weihwasser auch wirklich das
Grab besprengt wird...“ Dass er für manche Gottesdienstbesucher eine
Herausforderung darstellt, ist Martin Wirth klar. „Sie erwarten ein anderes
Bild – aber ich bin halt so, wie ich bin.“
Information und
Anmeldung zu den Angeboten in der Fastenzeit bei Martin Wirth unter Telefon
0551 / 50969027 oder per Email: fm.wirth@t-online.de