Erster Gedanke: „Eine Ketzerin“
Edith-Stein-Preis geht an den ehemaligen niedersächsischen Landesrabbiner Henry G. Brandt
Göttingen (wal). Der Edith-Stein-Preis 2011 geht an den ehemaligen Landesrabbiner von Niedersachsen, Henry G. Brandt. Der 83-Jährige ist der erste jüdische Preisträger.
Brandt, von 1983 bis 1995 Landesrabbiner in Niedersachsen macht aus seinen Schwierigkeiten, den Preis anzunehmen, keinen Hehl: „Mein erster Gedanke war: eine Ketzerin“. Schließlich ist Edith Stein, die aus einer jüdischen Familien stammte, zum Katholizismus konvertiert, wurde sogar Ordensfrau.
Er habe sich dann näher mit ihrer Lebensgeschichte befasst, berichtet Brandt weiter. Seine Erkenntnis: Edith Stein blieb ihren jüdischen Wurzeln treu, prangerte anti-jüdische Hetze an. „Und sie starb an der Seite von Juden in Auschwitz“, betont Brandt.
Wichtig sei es, über die Grenzen der Religionen im Gespräch zu bleiben, meint der in Augsburg lebende Rabbiner. Daher könne er mit gutem Gewissen den Preis annehmen.
Es sei zudem auch ein Indiz für den guten Dialog zwischen Juden und Christen: „Wer hätte denn vor 50 Jahren gedacht, dass wir heute so miteinander reden können?“, fragt Brandt. Und gibt die Antwort: „Wer das prophezeit hätte, wäre als Träumer abgestempelt worden.“ Auch wenn es immer wieder Widrigkeiten gibt: Für Brandt ist das weniger die Karfreitagsfürbitte des Papstes, die zur Missionierung von Juden auffordert. „Das ist ausgestanden“, meint Brandt. Die Piusbruderschaft sei da schon ein größeres Problem.
Gerade dieses Festhalten von Brandt am Dialog sei einer der Gründe für die Auszeichnung gewesen, betont Heiner Willen. „Brandt hat die Grenzen, die Religionen über Jahrhunderte aufgebaut haben, überschritten und sich als Brückenbauer bewährt“, würdigte der Vorsitzende des Edith-Stein-Kreises. Der mit 5000 Euro dotierte Preis wird am 30. Oktober in Göttingen verliehen.
Brandt wurde am 25. September 1927 in München geboren. 1939 floh er mit seiner Familie nach Palästina. Nach Tätigkeiten in der Wirtschaft erwarb Brandt 1961 das Rabbinerdiplom und leitete anschließend Gemeinden in Leeds, Genf, Zürich und Göteborg. Von 1983 bis 1995 war er Landesrabbiner in Niedersachsen, von 1995 bis 2005 Landesrabbiner von Westfalen-Lippe.