Gesegnete Weihnachten
Mit einem Text von Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger wünschen wir allen Leserinnen und Lesern ein frohes, gesegnetes Weihnachtsfest.
Weihnachtliche Pilger
„Na, was hast Du zu Weihnachten bekommen?“, so fragte ich einen Jungen an einem
Weihnachtsmorgen. Ich kam gerade aus der Kirche, als ich eine junge Frau mit ihrem
Kind an der Hand auf die offene Tür zueilen sah. „Wollen Sie noch in den Gottes-
dienst?“ „Ja“, sagte sie. „Oh, der ist gerade zu Ende. Aber ich fahre jetzt in eine andere
Kirche, dort beginnt der Weihnachtsgottesdienst in einer halben Stunde. Wenn Sie
wollen, können Sie gern mitfahren.“ Sie wollte, und so stieg diese junge Mutter mit ih-
rem vielleicht achtjährigen Sohn bei mir ins Auto. Mir fiel auf, dass sie selbst nur eine
leichte Windjacke trug, und es war doch ziemlich kalt an diesem Weihnachtsmorgen.
Beide setzten sich ein bisschen verlegen auf den Rücksitz.
Was redet man an Weihnachten mit fremden Leuten? „Na, was hast Du zu Weihnach-
ten bekommen?“, wandte ich den Kopf nach hinten, dem Jungen zu. So eine Frage
ging doch immer, und Kinder wissen dann allerhand zu erzählen. „Mama hat gesagt“,
antwortete der Junge, „in diesem Jahr bekommen nur die armen Kinder etwas.“ Mit
dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Jetzt war ich verlegen. Gar nichts zu Weih-
nachten?! Meine Frage war offenbar daneben. Wir kamen doch noch ins Gespräch und
waren auch bald bei der anderen Kirche. Beide gingen mit hinein und verfolgten in der
ersten Bank den Gottesdienst.
Jetzt, zu Weihnachten, fällt mir diese Begegnung wieder ein – und die Antwort, die
ich überhaupt nicht erwartet hatte. Aber der Junge wirkte damals gar nicht enttäuscht.
So ist das eben: Mama hat gesagt. Und es gab doch andere Kinder, die viel weniger
hatten als er. Eines war ja dennoch möglich: An diesem Weihnachtsfest gemeinsam in
die Kirche zu gehen. Ich gestehe: Ich hatte damit gerechnet, dass sie den Gottesdienst
früher verlassen würden. So ein Weihnachtsgottesdienst dauert doch. Und viel Übung
mit der Kirche schienen sie kaum zu haben. Doch sie blieben bis zum Schluss.
Ich schaue auf diese beiden weihnachtlichen Pilger und denke an das kürzeste Weih-
nachtsevangelium, das ich kenne: „Jesus Christus, der reich war, wurde euretwegen
arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.“ Paulus hat so an die Christen in
der Hafenstadt Korinth geschrieben (2 Kor 8,9). Nur ein Satz, aber er enthält alles, was
Weihnachten bedeutet. Die frühen Christen haben im Weihnachtsgeschehen etwas Un-
fassbares gesehen: Ein wunderbarer Tausch, der die Welt verwandelt. Der überreiche
Gott nimmt an Weihnachten unsere menschliche Armut an und wird selbst ganz arm,
ein armes Kind in einer Krippe, um auf diese Weise uns reich zu machen.
Was ist arm, was ist reich? Und wie kann Jesus Christus uns durch seine Armut reich
machen? Wem selbst ein Kind in die Arme gelegt wird, ein ganz und gar bedürftiges
Kind, und wer spürt, wie dieses Kind sich ihm anvertraut, der findet leicht die Antwort
auf die Frage: Was ist arm, was ist reich? Er weiß sich einfach beschenkt und entdeckt
einen anderen Reichtum.
Ob auch der Junge an diesem Weihnachtsmorgen etwas von dem wunderbaren Tausch
geahnt hat? Zufällig traf ich später die Religionslehrerin des Jungen, Ramon hieß er
übrigens. Sie erzählte mir, dass es ihm richtig Freude gemacht habe, in die Kirche zu
gehen: in diesen Raum mit den schönen Glasfenstern, mit dem Glanz heiliger Geräte,
mit der großen Krippe und den vielen Lichtern am Christbaum. Und ich selbst war
froh, dass bei unserer Rückfahrt mein Blick noch auf den kleinen Kuchen fiel, den ich
zuvor von der Küsterin geschenkt bekommen hatte, und Ramon ihn auch annahm.
Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger, Hildesheim