Hinschauen lohnt sich

Im heutigen Göttingen gibt es zahlreiche Hinweise auf mittelalterliche Klöster und Orden – ein Stadtrundgang

Die Idee kam ihr auf dem Weg ins Büro, zwischen dem Göttinger Hauptbahnhof und dem Michaelsviertel in der Kurzen Straße. „Eines Morgens sind mir die Straßenschilder „ Paulinerstraße“ und „Barfüßerstraße“ aufgefallen – und ich habe mich gefragt, woher diese Namen stammen“, erzählt Mechthild José-Thumbeck. Die Theologin, die gemeinsam mit dem Pfarrer von St. Michael für die City- und Passantenpastoral verantwortlich ist, machte sich auf die Suche: Sie las sich in die Göttinger Stadtgeschichte ein, durchforstete zahllose Quellen und entwickelte auf dieser Basis eine ungewöhnliche geistliche Stadtführung: „Vorläufer der City- und Passantenpastoral: Auf den Spuren mittelalterlicher Klöster und Orden in Göttingen“.

 

Göttingen (kpg) - Über ein halbes Jahr hat José-Thumbeck intensiv recherchiert. Denn auf den ersten Blick deutet in der Universitätsstadt heute kaum noch etwas darauf hin, dass hier einmal Klöster wie selbstverständlich zum Stadtbild gehörten. Nur jemand mit theologischer Vorbildung würde bei dem Namen „Barfüßerstraße“ stutzig. „Barfüßer wurden im Mittelalter die Franziskaner auch genannt, weil die Mönche nach den Ordensregeln des Gründers Franz von Assisi zu einem einfachen Leben verpflichtet waren, zum Beispiel ihre Füße barfuß in den Sandalen steckten“, erläutert José-Thumbeck.

Spuren der Franziskaner aus der „Kloake“ gefischt

Die erste urkundliche Erwähnung der Franziskaner stammt aus dem Jahr 1308, wahrscheinlich kamen die Mönche aber schon gut 40 Jahre früher nach Göttingen, zu der Zeit eine junge und wohlhabende Stadt. Auf dem heutigen Wilhelmsplatz errichteten sie die Barfüßerkirche. Zu der Klosteranlage gehörten außerdem eine Brauerei, ein Waschhaus, ein Friedhof, ein Dormitorium mit 12 Zellen sowie ein Gästetrakt: „ein riesiges Gelände“, so José-Thumbeck. Spuren des damaligen Klosters, das 1820 abgerissen wurde, fanden Forscher nur noch in der so genannten „Kloake“. Sie befindet sich heute im Kellergeschoss des Universitätsgebäudes und ist eigentlich nicht zugänglich. In dieser „Abfallgrube“ des Klosters fand man Becher und Schalen, Einbände aus Leder sowie liturgische Gegenstände aus Holz und Zinn. Durch das feuchte Mikroklima, das in der „Kloake“ herrschte, wurden die Gegenstände über viele Jahre konserviert und sind deshalb gut erhalten. Davon überzeugen können sich Besucher im städtischen Museum, wo ein Teil der Fundstücke ausgestellt sind.

Bildungsvermittlung und soziales Engagement – Vorläufer der heutigen Citypastoral

Etwas offensichtlicher dagegen sind die Spuren, die die Dominikaner in der Universitätsstadt hinterlassen haben. 1294 gründeten die Mönche ein Kloster und die Paulinerkirche – den Kern der späteren Universität – in der heute die Staats- und Universitätsbibliothek untergebracht sind. „Jeder Göttinger kennt die Paulinerkirche. Aber wenn Sie nach den Dominikanern fragen, weiß kaum jemand Bescheid“, sagt José-Thumbeck. Dass die Dominikaner „Pauliner“ genannt wurden, liegt daran, dass die damalige Kirche unter dem Patronat Peters und Pauls stand. Bis heute heißt der historische Bibliothekssaal im ersten Stock „Paulinerkirche“. Er zeigt eindrucksvoll, welche Ausmaße dies Kirche gehabt haben muss: Die Paulinerkirche war im Mittelalter das mit Abstand größte Gotteshaus der Stadt.
Auch auf den alten Stichen im Treppenhaus des Gebäudes ist das zu erahnen. Bis heute sind in dem Saal, der auch für besondere Veranstaltungen genutzt wird, die typisch gotischen Gewölbestrukturen erhalten geblieben. Und der alte Büchersaal zeigt, was die Dominikaner jener Zeit ausgemacht hat: Belesenheit, Bildung und Predigt.

Mit dem Predigen war es aber kurz nach Beginn der Reformation vorbei. Denn die neue Kirchenordnung gestattete den Mönchen weder eine Messfeier noch das Predigen oder Almosensammeln. So verließen die Dominikaner 1532 die Stadt, ein Jahr später folgten die Franziskaner. Der Versuch, die Bettelorden während des 30-jährigen Krieges nach Göttingen zurückzuholen, scheiterte. Länger dagegen weilten die Mönche des Deutschen Ritterordens in der Universitätsstadt, wie die nächste Station des Stadtrundgangs zeigt, nämlich von 1308 bis ins 19. Jahrhundert. Ein Wappen an der Marienkirche zeugt bis heute von ihnen.

Zwei weitere Orden wirken bis heute in der Stadt: die Jesuiten und die Vinzentinerinnen. 1865 kamen die ersten beiden Ordensfrauen nach „Klein Paris“, in das verrufenste Viertel Göttingens. Ihre Unterkunft war so klein, dass die Frauen zum Pfannkuchenbacken die Haustür auflassen mussten, damit der Pfannenstil Platz hatte, wie eine Quelle berichtet, die José-Thumbeck aufgetan hat. In der heutigen Nikolaistraße befindet sich die Keimzelle des Klosters. Hier gründeten die Vinzentinerinnen eine Krankenpflegestation, später in der Turmstraße – heute befindet sich hier das Pfarrbüro von St. Michael und die Jesuitenkommunität – ein Krankenhaus und kümmerten sich um die „gefallenen Mädchen“.

Überhaupt sei das – wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten – allen Ordensgemeinschaften gemein, erklärt José-Thumbeck zum Abschluss ihrer geistlichen Stadtführung in der Michaelskirche, die den Bogen zur Gegenwart schlägt, denn hier wirkt die Kommunität der Jesuiten bis heute: ihre soziale Tätigkeit, ihr Bestreben, Glauben und Wissen zu vermitteln, auch an die, die der Kirche weniger nah stehen: „Insofern sind die mittelalterlichen Orden Vorläufer der heutigen Citypastoral im besten Sinn.“

Die Göttinger Citypastoral bietet diese geistliche Stadtführung auf Wunsch für Gruppen an. Nähere Information erteilt Mechthild José-Thumbeck, Telefon 0551 / 54795-27, E-Mail: jose-thumbeck@samiki.de. Termine zu ähnlichen geistlichen Stadtführungen gibt es im Internet: www.samiki.de oder www.katholische-kirche-goettingen.de