Missbrauchs-Skandal:

Jesuiten-Pater Manfred Hösl nimmt Stellung

Liebe Katholiken!

Sie haben sicher alle von den furchtbaren Vorgängen in den drei Jesuitenschulen und in Göttingen gehört. Leider sind die Hauptleidtragenden – die Opfer - im Hintergrund. Wie viele werden es sein? So mancher von ihnen wird sich schämen, andere werden jetzt das angstvolle Gefühl haben, dass die Wunden wieder aufgerissen werden. Ihnen, den Opfern, muss die diskrete und solidarische Aufmerksamkeit als Erste zuteil werden.

In St. Blasien habe ich selbst 7 Jahre lang als Schulseelsorger gewirkt. Es ist abgrundtief traurig, das eigene Kolleg in den Schlagzeilen ganz oben zu sehen, die eigenen Mitbrüder vor Mikrofonen, damit sie etwas sagen, wo es nichts zu sagen gibt, weil die Worte fehlen. Man möchte „Entschuldigung!” sagen und doch kommt einem das Wort so mickrig vor, dass man es kaum über die Lippen bringt.

Vor vielen Jahren ist unser Haus mit den Stallungen von unserer Familie und unseren Nachbarn abgebrannt. Ich war ein Teenager. Wir haben Abends zusammen gesessen. Es war und ist das einzige Mal, dass ich meinen Vater habe weinen sehen. Unvergesslich!

Heute habe ich ein ähnliches Gefühl: alles wirkt so abgebrannt! Die wahren Schäden sind noch gar nicht erkennbar, der Rauch muss sich erst lichten.

Es wird sicher so sein, dass die verantwortlichen Mitbrüder schuldig geworden sind, von den damaligen Täter-Mitbrüdern ganz zu schweigen. Es wird viele „Da hätte man doch...!” geben! Viele „Wieso haben die nicht...?”. Und je größer der Abstand zu den Geschehnissen wird, desto mehr solcher Sätze gibt es. Sie wachsen exponential und proportional mit dem Gefühl, versagt zu haben.

Ich bin sehr froh über die Worte, die P. Klaus Mertes (der Rektor des Canisiuskollegs) und P. Provinzial Dartmann im Umfeld der Pressekonferenz gefunden haben. Mein ehemaliger Chef, P. Johannes Siebner, hat am Sonntag über den Satz „Die Wahrheit wird euch frei machen!” (Johannesevangelium 8,32) im Dom zu Sankt Blasien gesprochen. Das ist auch meine Hoffnung: der Blick nach vorne, mutig, kritisch, ehrlich bis zur Schmerzgrenze und wenn es sein muss auch darüber hinaus.

Jetzt ist die Stunde der Opfer. Endlich! Dies muss jetzt absolute Priorität haben und darf nichts anderem nachgeordnet werden. Es ist sogar eine Chance für einen Befreiungsschlag da! Wir – Jesuiten, Hauptamtliche, aber bitte auch die ganz „normalen” Christen – haben jetzt die Möglichkeit vom Paradigma des Wegschauens und Vertuschens überzugehen zum Paradigma der Wahrheit. Das kann und muss die Lehre aus dem Missbrauchsskandal sein.

Wenn Sie gar selbst zu den Opfern gehören sollten, dann möchte ich sie ermutigen: melden Sie sich! Haben Sie keine Angst! Wir werden Ihre Reaktion vertraulich behandeln. Bitte melden Sie sich bei Frau Ursula Raue. Sie ist vom Orden als unabhängige, kompetente Fachkraft gewonnen worden. Sie hat Erfahrung mit den Gefühlen und Wunden von missbrauchten Kindern und Jugendlichen.

Gibt es Hoffnung? Wenigstens ein Lichtstreifen am Horizont? Ich möchte nichts beschönigen oder relativieren, um Gottes Willen! Ich fühle mich angesprochen durch einen Satz, den Jesus im kommenden Sonntagsevangelium zum frustrierten Petrus sagt, der die ganze Nacht vergeblich gefischt, aber nichts gefangen hat: „Fahre hinaus auf den See, da wo es tief ist!” (Lk 5,4). Im Gegensatz zum vermeintlich sicheren Ufer des Vertuschens und Beschwichtigens mag die „Tiefe” weit draußen Angst machen. Aber dort hat Petrus seinen größten Fang gemacht! Ich gebe die Hoffnung nicht auf! Es gibt viel zu tun – packen wir’s an!

P. Manfred Hösl SJ