Mit Besen und Gesangbuch

Im Projekt „Aktivierende Pflege“ des Caritas Seniorenstifts St. Paulus entdecken Bewohner eigene Talente

 

„Ich muss immer etwas in der Hand haben“, sagt Georg Weinrich und stellt Besen und Schaufel für einen Moment bei Seite. Wenn man den 71-Jährigen darauf anspricht, dann winkt er ab: „Das ist doch keine Arbeit, das ist Beschäftigung“, sagt der langjährige Hilfsküster der Gemeinde St. Michael. 

„Als Kind musste ich Rüben verziehen, das kennt ihr ja gar nicht mehr“, erinnert er sich. Seit dem Frühjahr lebt der schwer erkrankte Mann im Caritas Seniorenstift St. Paulus, aber er macht weiter, was er sein Leben lang gerne getan hat: Er fegt den Hof und die Wege und hält die Beete im Garten in Schuss. „Aktivierende Pflege“  heißt das Projekt des Göttinger Seniorenstiftes. „Wenn neue Bewohner bei uns einziehen, führen wir lange Gespräche mit ihnen: Was sind ihre Interessen? Haben sie Ideen, was sie in dieser Phase ihres Lebens tun möchten?“, erklärt Gudrun Trapphagen vom Begleitenden Dienst. Sie und ihre Kolleginnen machen den Bewohnern zahlreiche Angebote, um geistig und körperlich möglichst fit zu bleiben. Aber manche Seniorinnen und Senioren wissen auch selbst ganz genau, was sie möchten. So wie Herbert Gloris.

Der ehemalige Leiter eines mittelständischen Betriebs hat im Alter noch einmal ein ganz neues Talent entdeckt: Er bereitet einmal im Monat eine ökumenische Andacht für die anderen Bewohnerinnen und Bewohner vor.  Rund ein Dutzend Senioren treffen sich vor dem Abendessen in der Kapelle. „Vater im Himmel, ein langes Leben liegt hinter uns“, beginnt der 76-jährige zu beten, auch wenn das Mikrophon in seiner Hand zittert. Sensibel schildert er, wie es sich anfühlt, älter, zerbrechlicher und hilfsbedürftiger zu werden. Er erinnert seine Mitbewohner daran, wie es war, als Kind an einen Schutzengel zu glauben. Alte Menschen, folgert er, brauchen einen solchen Begleiter wieder ebenso wie Kinder.

„Ich laufe viel herum und hole mir von überall her Anregungen für die Andachten“, erzählt Herbert Gloris:  Aus Kirchen, aus der Bibliothek, aus dem Internet… „Ich bin ein Mensch, der immer etwas tun muss“, sagt auch er von sich. Das hat er mit Georg Weinrich gemeinsam, auch wenn die beiden Männer sonst ganz unterschiedlich sind. „Unsere Bewohner übernehmen Verantwortung für sich und andere“, lobt Heimleiter Michael Reimann. „Viele Senioren wollen nicht den ganzen Tag beschäftigt werden. Sie entscheiden selbst: Was  kann ich mit meinen Einschränkungen machen, was nicht?“ Und Gudrun Trapphagen ergänzt: „Auch im Alter entwickeln sich Menschen noch weiter. Es dauert, bis jemand zu seinen Interessen findet.“ Manchmal ein Leben lang.