Ökumene unverschämt leben - Andacht von Prälat Heinz Voges

Zwischen den 31. Oktober und den 1. November passt kein Kalenderblatt. Der evangelische Reformationstag vorgestern und das katholische Allerheiligenfest gestern haben also hautnahen in Kontakt. Nähe bringt Reibung. Woran man sich reibt, lässt einen nicht kalt.

Ich reibe mich daran, dass der leidenschaftliche Aufbruch in meiner Kirche nach dem Konzil in die Kanäle einer Ökumene der Grenzen gebändigt wurde.

Die Grundtemperatur des ökumenischen Miteinanders darf nicht weiter sinken. Darum wünsche ich uns Christen eine unverschämte Ökumene; keine verschämte, keine schüchterne. Kuschelökumene ist verboten. Gedenkroutine muss durchbrochen werden.

Was also sollen Christen tun? Was tut ein Mensch, wenn er seine große Liebe trifft? Er folgt ihr nach. Für evangelische und katholische Christen ist Jesus Christus die große Liebe. Jesus Christus ist Herr im Hause; er allein; „Hauswirt“ in beiden Kirchen; Fundament und Mitte; eben ein und alles, der uns eint!

Jesus hält uns aus und hält uns zusammen. Durch die gleiche Taufe sind alle Christen blutsverwandt. Hautenge Beziehung der Schwesterkirchen ist darum nicht Kür, sondern Pflicht. Vielfach in Göttingen beispielhaft gelebt. Ein halbes Jahrtausend nach der Reformation müsste das Jesus-Gebet um Einheit in großen Buchstaben an die Vatikan-Mauern und die Schlosskirche in Wittenberg geheftet werden: „Alle sollen eins sein …, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ (Johannes 17,21)

Ich wünsche uns Christen einen glaubwürdigen ökumenischen Umgang vor Ort; Seite an Seite auf Augenhöhe, ohne Seitenhiebe; mutig, nicht verschämt, eben unverschämt!

Prälat Heinz Voges
ehemaliger Dechant im Dekanat Göttingen