Omnes amici mei dereliquerunt me – Alle meine Freunde haben mich verlassen
Die Kartage beginnen in St. Michael wie seit Jahrzehnten mit den von der Choralschola „cantando praedicare" gesungenen Trauermetten.
Sie gehören zum Nachtgebet der Kirche und stimmen in die Feier vom Gedächtnis des Leidens und Sterbens Jesu Christi ein. Ein auf deutsch im Wechsel gesprochener von einem gregorianischen Kehrvers einrahmter Psalm, eine auf deutsch gesungene Lesung aus dem Buch der Klagelieder des Jeremias und ein gregorianisches Responsorium bilden eine dreimal sich wiederholende Einheit.
In den Lesungen klagt der Verfasser über die von Gott abgefallene und zerstörte Stadt Jerusalem. Er entwirft das Elendsbild einer wüsten Stadt, einer in Sack und Asche trauernden Tochter Zion und erkennt darin ursächlich die Strafe für ihre Sünde und Gottesferne. Das Buch der Klagelieder zählt zu den fünf „Festrollen“, aus denen im jüdischen Synagogengottesdienst zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. verlesen wird. Für uns gelten sie seit allen Zeiten als Sinnbild für seelische Not, Krieg und Vernichtung.
Die Responsorien sind kontemplative Antwortgesänge. Sie lassen das Drama der Kartage vor uns aufscheinen. Frei ergänzte Dichtung zu den Worten der Heiligen Schrift, denen die römische Liturgie üblicherweise verpflichtet ist, vermag die Passion Christi individuell widerzuspiegeln, weil sie dem besonderen liturgischen Augenblick spontan und unbefangen angepaßt ist. Sie rückt einzelne Szenen des Geschehens aus dem Blickwinkel des meditierenden Betrachters in die Gegenwart. Sechs von den insgesamt 27 sogenannten Passionsresponsorien sind an diesen drei Tagen in St. Michael zu hören.
Auch St. Michael verwendet den Ritus, stufenweise Kerzen auszulöschen. Auf dem Altar steht ein Lichterrechen, ein sogenannter Triangelleuchter mit sieben symmetrisch angeordneten Kerzen, deren mittlere Christus symbolisiert. Zu Beginn des Gottesdienstes sind alle Kerzen entzündet. Dreimal am Ende jeder Einheit werden zwei Kerzen als Ausdruck dafür gelöscht, daß Jesus von seinen Freunden verlassen wird. Am Schluß des Gottesdienstes brennt nur noch die Christus-Kerze. Das Graduale Christus factus est, das Gebet nach einer langen Stille beschließt die Feier.
Die Karmette am Samstag ist der einzige Gottesdienst an diesem Tag der Grabesruhe.
Dr. Johanna Grüger
- Trauermetten in St. Michael:
Karfreitag, 19. April 2019, 9 Uhr
Karsamstag, 20. April 2019, 9 Uhr