"So will ich leben. Nur so"
Aus Erfahrungen mit den Psalmen entstand in der Göttinger Universitätskirche eine Collage mit Licht, Bildern, Texten und Klängen
Ein Jahr lang haben sich die Kirchen in Göttingen mit den Psalmen auseinandergesetzt. Die Installation der Katholischen Hochschulgemeinde ist einer der letzten Höhepunkte des Projektes
"Eigentlich",
sagt Everlin Piccinini aus Brasilien, "berichte ich ja lieber
etwas Gutes aus meinem Land." Alain C. Mendy aus dem Senegal
lacht, dass seine Zähne blitzen, und stimmt seiner Kommilitonin zu:
"Ich bin immer so positiv." Aber die Aufgabe, die
Peter-Paul König fünf Studierenden der Katholischen
Hochschulgemeinde in Göttingen gestellt hat, war eine andere: Die
jungen Männer und Frauen von fünf Kontinenten sollten Texte in
ihrer Muttersprache auswählen, die einen Gegensatz bilden zu dem
Schöpfungsjubel in Psalm 104: "Herr, wie zahlreich sind deine
Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht..." Wie passt dazu
die Ausbeutung des Lebensraumes der Ureinwohner in Brasilien? Oder
das Leiden des schwarzen Kontinents und seiner Kinder, die seit
Jahrhunderten in Europa, Amerika und in Afrika selbst unterdrückt
werden?
Die
Licht - und Klanginstallation "Hundert Jahre sind wie ein
Tag..." in der Nikolaikirche gab keine Antwort darauf. Aber wer
mit den Psalmen betet, muss auch nicht unbedingt Antworten wissen.
Für das gesamte Gefühlsspektrum von Not und Trauer bis zu
euphorischer Freude haben die Psalmendichter Worte gefunden. "Wem
selbst die Worte fehlen, kann hier welche finden", erklärt
Corinna Morys-Wortmann. Die zweite Vorsitzende des
Dekanatspastoralrates hat gemeinsam mit ihrem Mann, dem Kulturmanager
Jens Wortmann, das Projekt "Göttinger Psalter" ins Leben
gerufen. Ein Jahr lang haben sich die christlichen Kirchen in
Göttingen alle 150 Psalmen vorgenommen: in Predigten, Vorträgen,
Konzerten und zahlreichen anderen Veranstaltungen. Die Installation
von Peter-Paul König, Roland Bauer und Peter Kücking ist einer der
letzten Höhepunkte des Psalmenjahres, bevor es am Sonntag mit der
Uraufführung der Psalmvertonungen, die bei einem
Komponistenwettbewerb ausgezeichnet wurden, in den Endspurt geht.
Im
Hochschulgottesdienst gibt Regens Christian Hennecke, selbst
gebürtiger Göttinger, ein ganz persönliches Zeugnis seiner
Erfahrung mit einem Psalm. Er hat den Psalm 63 als Thema seiner
Predigt ausgewählt: "Weil ich keinen so oft gebetet habe."
Hennecke berichtet davon, wie er als junger Mann zu einem
Christentreffen fuhr - schüchtern und eigentlich widerstrebend, weil
er Angst hatte, mit niemandem ins Gespräch zu kommen. "Ich bin
kein Gemeinschaftsmensch", verriet er. "Aber ich habe die
ganze Zeit mit Leuten geredet und gespürt: Hier ist Gott dabei. So
will ich leben. Nur so." Eine Sehnsucht war geweckt, die der
Psalmdichter so beschreibt: "Meine Seele dürstet nach dir. Nach
dir schmachtet mein Leib..." "Wenn ich das nicht empfinden
würde, dann wäre jede Sitzung, an der ich teilnehmen muss,
sinnlos", kommentiert der Regens.
Im
mittelalterlichen Kirchenschiff hängen weiße Tücher, deren Form an
Tierfelle erinnert. "Dabei geht es um das Thema des Opfers, um
den Widerspruch zwischen dem Töten und dem Nutzbarmachen eines
Tieres", erklärt der Leiter der Hochschulgemeinde. Als ein
blutroter Lichtschein durch die Tücher hindurch auf die
Kreuzigungsgruppe hinter dem Altar fällt, wird klar, was er meint.
Auf die Felle werden Texturen projiziert: die runzlige Rinde eines
Baumes, die Adern eines Blattes oder fluffige Wolkenberge - die ganze
Vielfalt der Schöpfung. Die Zuschauer wandern im Kirchenraum umher,
lauschen der sphärischen Musik - und lassen sich von den kritischen
Texten der Studierenden wieder auf den Boden zurückholen. "Wir
überbringen keine Botschaft", sagt Pater-Paul König lächelnd.
"Das ist eher wie ein Gespräch."