Vier Gotteshäuser, 60 Gäste und eine begeisterte Sozialdezernentin
Erfolgreiche „2. Lange Nacht der offenen Gotteshäuser“
Was ist eine Mikwe? Welche Bedeutung hat die Taufe der Christen und warum ist eine rituelle Waschung in einer Moschee wichtig? Diese und weitere Fragen beantworteten die Abrahamreligionen in ihren Gotteshäusern.
60 Interessierte unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Konfessionen besuchten die „2. Lange Nacht der offenen Gotteshäuser“ in Göttingen. Vier Lichtstrahlen, die sich ausgehend von den vier Gotteshäusern an einem gemeinsamen Punkt am Himmel trafen, begleiteten die Veranstaltung. Sie stehen für Begegnung und den Wunsch nach Verständigung unter den Religionen und Frieden für unsere Welt.
Die Veranstaltung wurde vom Runden Tisch der Abrahamreligionen und der Evangelischen Hochschulgemeinde (ESG) initiiert. Unterstützt wurde sie durch die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, den Ev.-luth. Kirchenkreis Göttingen, die Citykirche St. Johannis, die Stadt Göttingen, die Stadtwerke Göttingen und das Evangelische Studienhaus.
Wasser als verbindendes Element
Der Abend begann um 19:15 Uhr an der Stadthalle Göttingen. Von dort ging es gemeinsam mit einem Bus zur türkisch-muslimischen DITIB-Moschee. Empfangen wurden die Gäste vom Imam der Gemeinde, der auch eine Sure aus dem Koran rezitierte, sowie vom Vorstand der DITIB-Gemeinde, Mustafa Keskin. Er erklärte den Besuchern nicht nur alles rund um den muslimischen Glauben, wie beispielsweise Gebetszeiten, die rituelle Waschung vor einem Gebet oder die Bedeutung der Rose und der Tulpe, sondern griff auch das Thema „Wasser“ in seinem Glauben auf.
So gebe es in der DITIB-Moschee einen Totenwaschraum, da einige Krankenhäuser in Göttingen ihnen die letzte Waschung vor der Beisetzung nicht gewährt hätten, erklärte Keskin. Auch karitativ engagiere sich die DITIB-Gemeinde im Bereich „Wasser“. Für rund 4.000 Bewohner eines Ortes in der zentralafrikanischen Republik Tschad hätten sie mit 24.000 Euro Spendengeldern (12.000 Euro aus ihrer Gemeinde) einen Brunnen für sauberes Trinkwasser bauen lassen.
Auf das Thema Wasser als verbindendes Element für alle Religionen, ging auch Jacqueline Jürgenliemk, Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinden in Göttingen, ein. Sie erklärte den Besuchern ihrer Synagoge, dass das Tauchbad „Mikwe“ zur Reinigung von Menschen und Gegenständen dient. Vor besonders wichtigen Festen, wie dem Passahfest, werden auch Töpfe und Geschirr „gekaschert“, um damit koscheres Essen zubereiten zu können. Lebendig wurden diese Informationen über den jüdischen Glauben als gemeinsam jüdische Lieder angestimmt wurden.
In der katholischen Citykirche St. Michael ging es anschließend besinnlich zu. Nur erhellt durch wenige Kerzen, rezitierte Jesuitenpater Ludger Joos aus einem Brief von Bernhard von Clairvaux. Der Mönch predigte vor über 1.000 Jahren den Menschen, dass sie sich als Schale, nicht als Kanal erweisen sollen, um aus dem Überfluss zu geben. „Die gütige und kluge Liebe ist es gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen“, heißt es dort. Dazu goss der Pfarrer an St. Michael und Cityseelsorger Wasser in übereinanderstehende Schalen.
Der Abend endet mit einem Umtrunk und geteiltem Brot in der evangelischen Citykirche St. Johannis. Pastor Gerd Schridde zeigte den Gästen das neue Taufbecken der Kirche und erläuterte die Bedeutung der Taufe im christlichen Glauben. Über die Lange Nacht der offenen Gotteshäuser sagte er: „Diese Begegnung ermöglicht Verständnis für die eigene wie die andere Religion, Respekt und nicht zuletzt die Entdeckung der Gemeinsamkeiten.“
Anschließend lasen Dr. Klaus Sürmann (Ev.-luth.) und Pfarrer Hans Haase (Kath.) vom Runden Tisch der Abrahamreligionen im Beisein von Göttingens Kultur- und Sozialdezernentin Petra Broistedt noch einmal die „gemeinsame Erklärung für Frieden und gegenseitigen Respekt und gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ vor, die Vertreter*innen der Religionsgemeinschaften und Teilnehmer*innen des Dialoges der Religionen der Stadt und des Landkreis Göttingen verfasst und unterschrieben hatten.
Die „2. Lange Nacht der offenen Gotteshäuser“ konnte nur unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden. Vor zwei Jahren fand sie noch ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen statt. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 und aufgrund des Anstiegs von antisemitischen, antireligiösen und rassistischen Bedrohungen und Schmierereien auch in Göttingen begleiteten diesmal ein Wagen der Polizei und ein Security-Team die Gruppe. Diese mussten sich vorher mit Name und Adresse anmelden und mit Personalausweis zu Beginn ausweisen. Die Stimmung war trotz der Sicherheitsmaßnahmen gut. Bei intensiven Gesprächen, Brot und Punsch klang die Veranstaltung in St. Johannis aus. Eine Fortsetzung ist bereits geplant.
Über den Runden Tisch der Abrahamreligionen
Der Runde Tisch der Abrahamreligionen wurde in Göttingen 2001 als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September gegründet. Seitdem engagiert er sich aktiv für die interreligiöse und interkulturelle Verständigung in Göttingen, etwa durch die Installation des Engels der Kulturen als Bodenintarsie vor dem Göttinger Bahnhof, gemeinsame Feste und Veranstaltungen.
Die ESG Göttingen ist ebenfalls auf vielfältige Weise im interreligiösen Dialog engagiert (Wanderausstellung #Religramme – Gesichter der Religionen 2018, Raum der Stille an der Universität, interkulturelle Projekte mit Geflüchteten und Studierenden seit 2015).
Jeanine Rudat
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Ev.-luth. Kirchenkreis Göttingen