Vom Dunkel ins Licht
Caritas und katholische Kirche in Friedland kümmern sich um Irak-Flüchtlinge
Friedland (kpg) – Dass er die Strapazen einer langjährigen Flucht hinter sich hat, sieht man ihm nicht an. Kleine Lachfältchen umspielen die Augen von Issam Thomas. Gestern ist er mit seiner Frau Kairan Vartan und seinen drei Kindern – zwei Töchter und ein Sohn im Teenageralter – aus Damaskus nach Friedland gekommen. Insgesamt 159 Menschen waren dieses Mal an Bord dieses 11. Transports in das Grenzdurchgangslager bei Göttingen: allesamt Flüchtlinge aus dem Irak, die im Rahmen des so genannten Resettlement-Projekts des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen in Deutschland eine neue Heimat finden sollen. Aber Issam Thomas spricht nicht über Folter und Flucht, nicht über die schrecklichen Erlebnisse, die alle Flüchtlinge, die hierher kommen, hinter sich haben. Er strahlt: „Wir kommen vom Dunkel ins Licht“, sagt er dann leise. „Deutschland ist ein Traum für uns. Jetzt fühlen wir uns sicher.“
Sechs Jahre hat er nach seiner Flucht aus dem Irak in Damaskus gelebt, in seinem Geburtsland habe er „Probleme mit der Regierung“ gehabt. Jetzt soll Deutschland sein neues Zuhause für ihn und seine Familie werden. Issams erster Eindruck: „Alle sind so freundlich hier – und es gibt eine Kirche. Da kann ich endlich in Ruhe beten.“ Wie er denken wohl viele. Mittlerweile besuchen mehr Irak-Flüchtlinge die Gottesdienste in St. Norbert als Einheimische, so Georg Vetter, Pfarrer der Gemeinde Maria Frieden in Göttingen-Geismar, zu der St. Norbert in Friedland als Filialkirche gehört. Denn dank Hacub Sahinian können die Iraker die heilige Messe hier auch in ihrer Sprache feiern: Jeden Tag kommt der syrische Diakon, der seit 6 Jahren im benachbarten Rosdorf lebt, im Aufrag der Pfarrgemeinde nach Friedland, übersetzt Teile des Gottesdienstes und besucht gemeinsam mit seiner Frau Silva die ankommenden Flüchtlinge in ihren Unterkünften. „Dass wir ihn gefunden haben, ist wirklich ein Glücksfall“, sagt Vetter. Denn für die Gemeinde sei es selbstverständlich, sich als guter Gastgeber zu zeigen.
Erste Kirche auf dem Weg ins neue Leben
„Sie sind doch unsere Gäste“, sagt auch Waltraud Schmidt, die Pfarrsekretärin von St. Norbert. Regelmäßig laden sie und Hacub Sahinian neu angekommene Flüchtlinge ins Pfarrheim zu Kaffee und Kuchen ein. Auch einen Busausflug nach Göttingen haben sie und Sahinian schon organisiert – mit Kirchenführung und Stadtrundgang. Außerdem erhält jeder Gottesdienstbesucher einen kleinen Rosenkranz geschenkt. Im Gegenzug lernen die Friedländer etwas über christliche Sitten im Nahen Osten: „Letzte Woche haben einige Flüchtlinge vor der Kirche Gebäck verteilt. Ein Angehöriger war im Irak gestorben.“ Und zwei Mal haben irakische Gruppen bereits die Kirche geputzt: „Sie hatten im Irak das Versprechen gegeben: Wenn wir hier heil raus kommen, dann putzen wir sieben Kirchen.“
Finanziell sei es jedoch schwierig für die kleine Filialkirche: „Bislang mussten wir all diese Dinge allein zahlen“, so Schmidt, die ehrenamtlich Kerzen und Wohlfahrtsmarken verkauft, um zusätzliche Spenden zu bekommen. Alle Anfragen bei offiziellen Stellen seien bislang erfolglos geblieben. Das Engagement zurückfahren wollen Schmidt und Sahinian deshalb nicht: „Wir sind doch die erste Kirche auf ihrem Weg in ein neues Leben.“
Ein paar Meter weiter kümmert sich die Caritas um die ankommenden Flüchtlinge. Der Verband ist einer von drei Wohlfahrtsverbänden, die den Irakern in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft weiterhelfen. Auch Diakonie und Deutsches Rotes Kreuz (DRK) haben Einrichtungen im Grenzdurchgangslager Friedland, teilen sich die Aufgaben. So unterhält die Caritas eine Kleiderkammer für Männer, die Diakonie für Frauen, das DRK für Kinder und Jugendliche. Das Rote Kreuz unterhält zudem einen Suchdienst für Familienzusammenführungen, die Caritas einen Jugendberatungsdienst. Alle Verbände haben Sprach- und Kulturmittler eingestellt. Sie organisieren allgemeine Informationsveranstaltungen und können den Flüchtlingen in ihrer Muttersprache das deutsche Aufenthaltsrecht erklären sowie über einen möglichen Einstieg ins Berufsleben informieren. „Die Motivation, hier deutsch zu lernen und wieder ein normales Leben zu führen, ist enorm hoch“, erzählt Raif Safieh. Der vereidigte Dolmetscher und medizinisch technische Angestellte, der im Grenzdurchgangslager zuvor in der Röntgenabteilung gearbeitet hat, ist seit März als Kultur- und Sprachmittler für die Caritas tätig. „Sie haben den dringenden Wunsch, endlich wieder ein normales Leben führen zu können.“ Denn die Wunden, die die Verfolgungen und Misshandlungen sowie die oft jahrelange Flucht den Menschen zugefügt haben, seien tief. „Jeder, der hier ankommt, hat eine unmittelbare Gewalterfahrung hinter sich“, sagt Thomas Heek, Leiter der Caritasstelle in Friedland. Das zu verarbeiten, brauche eine lange Zeit.
„Wir können hier nur die Grundlagen legen“, so Heek. Die wichtigste Arbeit komme dann auf die Kommunen zu, auf die die Iraker nach bis zu 14 Tagen in Friedland verteilt werden. So reichten die Sprachkenntnisse, die die Flüchtlinge im Integrationskurs lernen, zwar für den Alltag, aber nicht für ein Vorstellungsgespräch oder die Arbeitswelt. Außerdem sei nicht einheitlich geregelt, inwieweit Schul- oder Universitätsabschlüsse und Berufsbezeichnungen in Deutschland anerkannt würden. „Es muss Aufgabe der Kommunen sein, diese Menschen nicht in die Arbeitslosigkeit fallen zu lassen“ – zumal viele von ihnen gut ausgebildet seien. So wie Issam Thomas. Er ist Heizungsingenieur. Issam ist zuversichtlich, auch hier in seinem Beruf arbeiten zu können: „Deutschland ist sehr modern. Das wird schon klappen.“
Stichwort: Irak-Flüchtlinge in Deutschland
Über 1420 Flüchtlinge aus dem Irak sind seit März im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen angekommen. Die EU hatte im vergangenen Herbst beschlossen, 10 000 Irak-Flüchtlinge aufzunehmen, davon sollen 2500 nach Deutschland kommen. Damit beteiligt sich Deutschland erstmals am Resettlement-Projekt des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen. Die meisten dieser so genannten „Kontingentsflüchtlinge“ sind Christen, die zuvor aus dem Irak nach Syrien oder Jordanien geflohen waren – vor allem Kranke, alleinerziehende Mütter, Minderjährige, Alte und Folteropfer. Sie leben wie vor ihnen vier Millionen Aussiedler und Flüchtlinge zunächst bis zu zwei Wochen im Grenzdurchgangslager Friedland, bevor sie nach festem Schlüssel auf die Bundesländer aufgeteilt und mit Integrationskursen auf ihre neue Heimat vorbereitet werden. Die Flüchtlinge, die später in Niedersachsen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern leben, nehmen in Friedland an einem dreimonatigen Integrationskurs teil. Ihre Aufenthaltserlaubnis ist vorerst auf drei Jahre begrenzt.