Vorlesestunde mal anders
Für Bewohner des Caritas Seniorenstiftes St. Paulus in Göttingen gibt es ein neues Angebot: eine Hörbuch-Bibliothek
Göttingen (kpg) – „Großmutter, warum hast Du so große Ohren?“ steht in großen Lettern auf dem Plakat im Eingangsbereich des Seniorenstiftes, darunter ein aufgeschlagenes Märchenbuch bei Kerzenschein und die Antwort: „Damit ich das alles hören kann.“ Das alles sind die Hörbücher, die sich die Bewohner des Heimes ausleihen können. „Ich wollte, dass niemand, der nicht mehr selbst lesen kann oder bettlägerig ist, auf Literatur verzichten muss“, sagt Eva-Maria Güthoff, die Initiatorin der Bibliothek. Regelmäßig geht die Pflegedienstleiterin selbst von Zimmer zu Zimmer. Im Gepäck hat sie ein portables Abspielgerät, denn kaum jemand besitzt einen eigenen CD-Player. Güthoff legt die CD ein oder erklärt geduldig die Technik – „denn daran soll es nicht scheitern“, sagt sie. Auch einen zusätzlichen Disc-Man will sie noch anschaffen, weil die Nachfrage nach anfänglicher Skepsis ständig wächst.
20 Titel hat sie bereits angeschafft, jeden Monat kommt ein weiterer dazu. Das Angebot ist vielseitig: Die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims haben die Wahl zwischen Klassikern wie den Märchen der Gebrüder Grimm oder dem „kleinen Prinzen“, sie können sich Lebenserinnerungen wie die Autobiographie „Höchstpersönlich“ von Peter Ustinov, den Bestseller „Die Asche meiner Mutter“ von Frank McCourt oder „Die italienischen Schuhe“ von Henning Mankell anhören. Wer Gedichte mag, greift zum Hörbuch von Iris Berben, Abenteuerliches bietet die „Orkanfahrt“, in der Schauspieler Otto Sander Seefahrergeschichten zum Besten gibt, Geschichtlich-Politisches die „Jahrhundertbilanz“. Und auch Neuerscheinungen wie „Schweigeminute“ von Siegfried Lenz hat Güthoff in die Hörbuchbibliothek aufgenommen.
Das Angebot ist gut durchdacht. Aus vielen Gesprächen weiß die Pflegedienstleiterin, dass Lebenserinnerungen aus verschiedenen Perspektiven bei den alten Menschen besonders gut ankommen. „Andere Titel wiederum erinnern die Bewohner an ihre Jugendzeit oder daran, wie sie selbst ihren Enkeln vorgelesen haben“, so Güthoff. Und so nutzen mittlerweile auch die Bewohner und Bewohnerinnen, die durchaus selbst noch lesen könnten, die Hörbuch-Bibliothek. „Es ist einfach eine besondere Atmosphäre, die entsteht“, schwärmt Güthoff, mittlerweile selbst passionierte Hörerin. „Es regt die Fantasie ungemein an und es erweckt den Eindruck, als sei noch jemand im Raum.“ Und ihre Begeisterung ist ansteckend: Mittlerweile bauen alle acht Altenpflegeheime der Stiftung Katholische Altenpflege im Bistum Hildesheim eine ähnliche Hörbuch-Bibliothek auf.